re:publica24: Es gibt keine tiefere Bedeutung dieser Fixierung auf Reichweite
»Verloren auf Plattformen« mit Patricia Cammarata, Simon Hurtz, Dirk von Gehlen, Katharina Nocun, Johnny Haeusler
Drei Punkte nehme ich aus diesem Talk mit. Der Erste kommt von Dirk von Gehlen für seine Mahnung, Reichweite sei nicht alles. Der zweite Punkt ist, dass ich zu dieser Gruppe der Älteren gehöre, die sich gern mit RSS beschäftigt haben und ich nach dem Talk das Gefühl habe, weiterhin dazugehören zu sollen. Vielleicht erleben wir ein Update? Der dritte Punkt gehört fast zum vorherigen Gedanken. Wir dürfen auf die Kraft der Kooperation hoffen und sollten noch einmal über Reclaim Social Media nachdenken, einer von Sascha Lobo vor 10 Jahren ins Gespräch gebrachte Haltung, sich zumindest redundant in selbstverantworteten Publikationen zu spiegeln und eben nicht alles den Plattformen anzuvertrauen.
Reclaim Social Media
Beginnen wir zunächst mit dem dritten meiner genannten Punkte. Die Entwicklungen um Twitter haben eindrucksvoll gezeigt, dass man sich auf Plattformen nicht verlassen kann. Gleich zum Beginn des Talks ging es viel um X und den partiellen Rückzug mit dem eigenen Profil. Dieser Rückzug ist immer noch gefärbt von der Hoffnung, auch Elon Musk und die jetzt Raum greifende Entfremdung auf der Plattform würde sich eines Tages zurückdrehen lassen. Auch ich lösche dort, sondern verhalten mich lediglich passiv, habe meinen Account auf privat gestellt und bin nur noch gelegentlich dort. Mit jedem Tag bestätigt sich die Sicherheit, dass die intimen Momente, die ich selbst seit 2007* auf Twitter erleben durfte, so nicht mehr zurückkommen.
Meines Erachtens hat sich das Reclaim-Social-Media-Phänomen getragen, auch wenn ich mich vor ein paar Wochen von Wordpress verabschiedet habe, weil technische Aufwand und der Wunsch zu veröffentlichen nicht mehr im Verhältnis steht. Grundsätzlich bette ich meine Texte technisch so, dass ich sie jederzeit auf einer zweiten oder dritten Plattform veröffentlichen kann. Nichts geht verloren. Leider ist das Problem Reichweite, auf das wir später noch kommen, für mich nicht so trivial, wie für jene, die bereits scheinen. So hat sich aus RECLAIM-SOCIAL-Media als Antwort eines Nichtverlierens auf Plattformen eine Umkehr des Produktionsprozesses ergeben. Auf Social Media gibt es Auszug oder redundanten Kopie eines Textes. So erscheint mancher Text von hier im gleichnamigen Newsletter auf LinkedIn. Das kuratiere ich jedoch konsequent selbst.
Erlebt RSS seine Renaissance?
RSS ist für mich repräsentativ, wie das Netz fernab von Gewinninteressen um Narrative über Reichweite funktionieren könnte. Bedauerlicherweise ist zur Nutzung ein wenig Aufwand nötig. Und so ein dynamisches Gefühl der Vernetzung entsteht nicht sofort. Eigentlich entspricht RSS der Grundidee einer flachen Vernetzung ohne Hierarchie am ehesten. Soziale Netzwerke haben es allerdings besser verstanden, uns mit Lockstoffen und manipulativen Technologien in ihren eigenen Netzen zu fangen. Das darf sich ändern, ist die Runde auf der re:publica 2024 in Berlin sich einig. Wir müssen wieder eine Ebene höher, wenn es um die Abstraktion eines Grades an Vernetzung geht, den wir uns selbst zumuten. Ansonsten droht der Sog im Strudel des Überwachungskapitalismus.
In den kommenden Tagen werde ich mir die Möglichkeiten dazu noch einmal neu ansehen. Der Google RSS Reader wurde schon vor über 10 Jahren abgestellt. Feedly wusste die Lücke zu nutzen und hat sich zu einem handlichen Beobachtungsdienst entwickelt, mit dem man Themen und Unternehmen im Auge behalten kann. Sicher geht da noch mehr und ich verstehe es als Aufforderung, mich selbst noch einmal zur Zukunft von RSS zu verhalten.
Relevanz schlägt Reichweite
Immer schon habe ich mich schwergetan mit dem Aspekt der Reichweite. Obwohl ich in einer der größten Branchen mit den meisten Erwerbstätigen unterwegs bin, ist die Rate derer, die sich am professionellen Diskurs im Gesundheitsgeschehen beteiligen, gering. Ich darf behaupten, von Beginn an im medial vernetzten Diskurs dabei zu sein, was mich gut einbettet in die Vernetzung, deren Grad deutlich über dem Branchendurchschnitt liegen dürfte und doch unter einer Bürde leidet. Reichweite erziele auch im Gesundheitsdiskurs diejenigen mit den einfachen und plakativen Botschaften. Ich fokussiere hier auf den Diskurs, denn Reichweite steht im Sinne einer rationalen Währung häufig im Zusammenhang mit Absatzinteressen. Wer auf Instagram punkten will, mit Dienstleistung oder Produkt, grenzt zwar Zielgruppen ab und macht sich einen Kopf, wie er seine Käuferinnen und Käufer erreicht, welche Art von Content aktuell trendet und wie er sich inszeniert, damit aus Reichweite Absatz entsteht. Ganz anders ist das im Diskurs. Hier sollte Relevanz das Hauptkriterium sein. Meinung leidet jedoch, wie vieles andere unter dem Aspekt der Kommodifizierung. Das ist keine gute Entwicklung.
Zwischenfazit
Deshalb folge ich dem Hinweis aus der Gesprächsrunde und vertraue weiter darauf, dass auch komplexe Sachverhalte vernetzt offengelegt werden sollten. Drei Likes auf LinkedIn sind eben kein Indiz dafür, ob der Punkt, den ich mache, irrelevant für den Diskurs ist. Sodann verbinden sich alle drei Ansprüche. Vernetztes Schreiben ist nicht wie Vortanzen der eigenen Meinung. Das überlasse ich weiterhin anderen. Ich horte meine Texte so, dass sie im Falle des Wegbrechens einer Plattform verfügbar bleiben; wenn ihre Distribution auch temporär erneuert werden müsste. Social Media ist für mich Mündlichkeit im Gewand der Schriftlichkeit, auch wenn Social Media heute vielfältige Contentarten kennt. Und die Kuration der wirklich wichtigen Stellen über RSS kann jeder für sich neu entdecken und vielleicht etwas entschleunigen, um zwischen dem ganzen generierten Kram in Social Media, Texte zu finden, die mehr als 280 Zeichen haben.
Bis 2007 hatte ich einen ersten Account, der mittlerweile nicht mehr existent ist. Seit 2009 bin ich mit meinen hier genutzten Handle dort unterwegs.
Oh du bist hier auf der republica warum haben wir uns noch nicht gesehen?